Walther Jungwirth kommt gleich zur Sache. Ein scharfer Blick auf das Gesicht des Besuchers – und schon hat er eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen parat. Da sind zum Beispiel die Zornesfalten. – „Was? Zornesfalten? Wo bitte?“
„Zwischen den Augenbrauen“, sagt Jungwirth. Und dann seien da außerdem die Stirn-Querfalten. Seltsamerweise sieht man diese bei Jungwirth überhaupt nicht. Obwohl er schon 58 ist. Wie ist das möglich? „Ich spritze mir zwei bis drei Mal im Jahr Botox.“ Er macht daraus kein Geheimnis. Schließlich ist es ja sein Beruf – und sein Geschäft. Jungwirth ist ein „Urgestein“ unter den plastischen Chirurgen in Salzburg.
Als Nächstes schiebt der Arzt die Haut an den Schläfen des Besuchers zur Seite – mit einem Schlag wirkt das Gesicht weniger gefaltet, weniger schlaff, weniger müde. Sein Tipp: „Ein Facelift mit Unterlid- und Oberlidstraffung.“ Sprich, ein operativer Eingriff unter Dämmerschlaf. Die Kosten: knapp 5000 Euro. Dazu kommen 760 Euro für zwei Tage Klinikaufenthalt. Die Korrektur der Zornesfalten und Stirnfalten kostet noch einmal rund 500 Euro. Die Rundumverjüngung eines Mittvierzigers kommt also auf über 6000 Euro. Wobei Jungwirth betont: „Ich will Ihnen nichts einreden – Ihnen muss es ein Anliegen sein.“
Der Großteil der Patienten, die zu ihm kommen, sind Frauen. Rund 15 Prozent sind Männer. Bei der Frage, was im Einzelfall zu tun sei, halte er sich aber sehr zurück, sagt Jungwirth. „Die Verantwortung für ein anderes Gesicht zu übernehmen ist größer, als jemandem einen neuen Haarschnitt zu verpassen.“ Ein plastischer Chirurg sei ein Dienstleister, der sich nicht zu sehr in die Persönlichkeit einmischen dürfe.
Wer Jungwirth in seiner Ordination im Salzburger Stadtteil Aigen aufsucht, betritt eine prächtige Villa aus dem 19. Jahrhundert. In den Gängen hängen Aufnahmen von Marilyn Monroe in verschiedenen Posen. Schwarz-Weiß-Schönheit in Perfektion. Schön sein – das wollten die Menschen schon immer. Bereits im 6. Jahrhundert vor Christus wurden in Indien mit Nasenersatzplastiken gearbeitet. Was früher Luxus war, ist heute für viele erschwinglich geworden. So ist es kein Wunder, dass sich jedes Jahr Tausende Österreicherinnen und Österreicher freiwillig – und gegen viel Geld – unters Messer legen.
Schönheit kann zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen und zu mehr Wohlbefinden. Wer schön ist, hat es oft auch leichter im Beruf. Schätzungen zufolge werden in Österreich pro Jahr 40.000 Schönheitsoperationen durchgeführt. Die Hemmschwelle ist heute geringer als früher, was auch am Fortschritt der Medizin und dem Trend zu kleineren ästhetischen Eingriffen liegt – also beispielsweise Unterspritzungen und Botox-Injektionen. Große Faceliftings, also Gesichtsstraffungen, würden in seiner Ordination immer weniger nachgefragt, sagt Bernd Schuster, plastischer Chirurg in Salzburg. Zugleich würden die Unterspritzungen mit speziellen Füllstoffen, die der Haut wieder mehr Spannung geben, beliebter. „Das ist eine Behandlung mit Spritze, die man sich schnell abholt. Früher wirkte diese nur drei Monate. Heute gibt es Injektionen, die 18 Monate halten. Damit wird die Spritze zur Alternative zum chirurgischen Eingriff.“ Auch in der ästhetischen Chirurgie sind minimalinvasive Eingriffe auf dem Vormarsch. „Es gibt Methoden, die nur einen kleineren Schnitt brauchen, sodass man von Vollnarkose auf kleinere Betäubungsformen umsteigen kann“, sagt Schuster. „Die Leute haben danach maximal einen blauen Fleck.“
Nicht immer geht es bei den Operationen aber ausschließlich um die Schönheit. Bei der 43-jährigen Valentina Schiller (Name von der Redaktion geändert) diente die Operation auch dazu, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Schiller hatte nach dem frühen Tod ihres Sohnes auf mehr als hundert Kilogramm zugenommen. Irgendwann entschloss sie sich, abzunehmen. Als sie 40 Kilogramm weniger hatte, hing viel Fett und überschüssige Haut am Bauch und an den Oberschenkeln. Um nach den Kilos die Haut loszuwerden und damit auch ein schmerzliches Kapitel ihrer Lebensgeschichte ganz abzuschließen, investierte die Sozialarbeiterin 16.000 Euro in Straffungsoperationen und Fettabsaugung. „Ich fühle mich jetzt absolut erleichtert. Ich kann sagen: Es war jeden Euro wert.“ Von ihrer Geschichte soll allerdings niemand erfahren. Einzig ihre Familie weiß davon.
Überhaupt reden nur wenige offen darüber, dass sie sich unters Messer gelegt haben, weil der Zahn der Zeit an der Schönheit des Körpers zu nagen begonnen hat. Schönheits-OPs sind noch immer ein Tabuthema. Wer will schon gern zugeben, dass es an natürlicher Schönheit mangelt oder einem das Alter zusetzt? Allerdings gebe es auch hier ein Umdenken, sagt Schuster. Eine Operation von abstehenden Ohren sei schon länger eine Selbstverständlichkeit. „Weitere Eingriffe ziehen hier nach.“ Und jüngere Patienten/-innen würden generell lockerer mit dem Thema umgehen.
Sicher ist: Jeder kommt früher oder später theoretisch für eine Schönheits-OP infrage: Mit fortschreitendem Alter sinken die Oberlider ab, treten die Tränensäcke hervor. Der Hals bekommt senkrechte Falten, die Wangenhaut hängt immer tiefer. Irgendwann war es auch bei Ilse Tschematschar so weit, dass sie nicht mehr zufrieden war mit ihrem Aussehen. Tschematschar steht dazu, dass sie sich hat operieren lassen – was freilich nicht zuletzt daran liegt, dass sie als Assistentin für Jungwirth arbeitet und dessen „Aushängeschild“ im Vorzimmer ist, wie sie selbst sagt. Die 59-Jährige hat sich vor zwei Jahren ein „mehrgängiges Menü“ bei ihrem Chef gegönnt, um die erschlaffte Haut loszuwerden. Und das sei gelungen, sagt sie. „Ich freue mich jeden Tag, wenn ich in den Spiegel schaue.“
Zu den wenigen, die ganz offen darüber reden, gehört auch Sylvia Buder. Die 44-Jährige ließ sich vor Kurzem die Oberlider operieren. Eine kleine Narbe beim rechten Auge ist noch zu sehen – sonst nichts. „Ich fühle mich super“, sagt Buder. Vor der Operation sei es für sie wegen des Drucks der Oberlider oft anstrengend gewesen, die Augen offen zu halten, auch Kopfschmerzen habe sie bekommen. „Und natürlich hat es mich gestört – auch beim Schminken.“ Gut 3000 Euro kostete sie der Eingriff. Sie würde sich jederzeit wieder operieren lassen. „Wenn mich etwas stört, werde ich es richten lassen.“
Aber wann ist es so weit, dass man sich etwas „richten“ lassen sollte? Was ist überhaupt Schönheit? Geht es nur um makellos reine, junge Haut und die richtigen Dimensionen von Nase, Kinn und Ohren? Kann nicht auch das von Wind und Wetter gegerbte Faltengesicht eines 90-Jährigen schön sein? Die Meinungen gehen in dieser Frage auseinander. „Für mich ist schön, wenn es zwischen Innerem und Äußerem Harmonie gibt, wenn sich jemand in seiner Haut wohlfühlt, wenn jemand sagt: ,Das Gesicht ist der Spiegel meiner Seele‘“, sagt Jungwirth. Für Schuster heißt Schönheit „Symmetrie mit einer leichten Abweichung, mit einem Hauch daneben – der Schönheitspunkt der Cindy Crawford.“
Helmut Leder von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien beschäftigt sich intensiv mit der Schönheitsforschung. Als schön gelte vor allem das Durchschnittliche, sagt Leder. Das heißt: Uns gefällt die Norm. Wenn Nase, Mund, Ohren, Augengröße und Augenabstand dem Durchschnitt entsprechen, nehmen wir das als schön wahr. Darüber hinaus gibt es Merkmale, die ein Gesicht noch attraktiver machen können: So gelten Frauen als schöner, wenn das Kinn ein bisschen kleiner ist und die Wangenknochen ein bisschen ausgeprägter sind als beim Durchschnitt. Beim Mann wird ein leicht hervorstehendes Kinn als besonders attraktiv wahrgenommen.
Wichtig ist auch das Alter. „Studien, die sich mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern beschäftigen, finden, dass Frauen attraktiver sind, wenn sie Merkmale von Jugendlichkeit haben“, sagt Leder. Auf Frauen dagegen können auch ältere Männer durchaus attraktiv wirken. „Bei Männern spielt tendenziell der Status eine wichtigere Rolle als bei Frauen.“ Das würde erklären, warum bei Frauen das Bedürfnis, möglichst jung auszusehen, stärker ausgeprägt ist als bei Männern. Experten führen dafür evolutionspsychologische Gründe an. Jugendlichkeit bedeutet Fruchtbarkeit – und darauf zielt das männliche Begehren ab. Volle Lippen, reiner Teint, faltenlose Haut, leuchtende Augen, glänzendes Haar, straffer Körper, dazu jugendlicher Gang, lebhafter Gesichtsausdruck und schwungvolles Auftreten – das habe Männer schon zu Urzeiten angezogen, schreibt der US-amerikanische Psychologe David Buss in seinem Buch „Die Evolution des Begehrens“. „Aus genau diesen körperlichen Anzeichen von Jugend und Gesundheit – und damit von Fruchtbarkeit – setzen sich die männlichen Ideale weiblicher Schönheit zusammen.“
So gesehen könnte man glauben, Schönheit und in weiterer Folge Glück bei der Partnerwahl ließe sich mit einer OP kaufen, ebenso wie mehr Lebenszufriedenheit.
Was das betrifft, warnt die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz vor überzogenen Erwartungen. „Nicht notwendige Operationen müssen besonders gut überlegt werden.“ Heute würden sich oft auch junge, hübsche Frauen ganz ohne Not einer Schönheits-OP unterziehen, sich Nase, Brust und mitunter auch die Genitalien operieren lassen, um den speziellen Vorstellungen mancher Männer zu entsprechen. „Wenn das Ergebnis dann nicht so ist, wie sie es wollen, oder wenn Komplikationen oder Behandlungsfehler aufgetreten sind, kommen sie zu uns. Gerade nach Brust-OPs kommen Frauen, die sagen, dass es nicht so aussehe, wie sie es wollten.“ Es gebe auch Patientinnen, die nach dem Eingriff mit Schmerzen und Wundheilungsstörungen kämpften. Pilz’ Ratschlag an alle, die eine Operation in Erwägung ziehen: „Überlegen Sie sich gut, ob Sie das brauchen, und lassen Sie sich aufklären. Und überlegen Sie, ob das, was Sie machen, an Ihrer Befindlichkeit etwas ändert. Körperwahrnehmungen kann man hinterfragen. Wir müssen nicht alle gleich ausschauen. In der Individualität liegt ja auch was.“ Und wenn schon die Entscheidung für einen Eingriff falle, dann sollte unbedingt ein qualifizierter Facharzt aufgesucht werden, sagt Pilz.
Jungwirth hält entgegen: „Wir haben so dankbare Patienten, die sagen, sie hätten nach der Operation wieder Lebensfreude.“ Der Chirurg berichtet von einer Frau, die Auslagen gemieden hatte, weil sie ihr Spiegelbild nicht mehr sehen wollte. Jetzt, nach der OP, könne sie wieder entspannt in die Schaufenster schauen. „Da ist die plastische Chirurgie das Einzige, was einem auch psychologisch hilft. Das ist dann eine Art Psychotherapie mit dem Skalpell.“